Ersatzfreiheitsstrafe – Was ist das?
Die Ersatzfreiheitsstrafe ist mittlerweile die häufigste Form der Freiheitsstrafe in Deutschland. Es ist eine Haftstrafe für Menschen, die ihre vom Gericht auferlegte Geldstrafe nicht bezahlen.
Jedes Jahr werden so in Deutschland über 50.000 Menschen inhaftiert – und zwar in der Regel nicht, weil sie nicht zahlen wollen, sondern weil sie nicht zahlen können.
Viele dieser Menschen wurden wegen geringfügiger Straftaten verurteilt, die oft mit Armut zusammenhängen: beispielsweise dem Fahren ohne gültigen Fahrschein oder Lebensmittel-Diebstahl. Diese Fälle gelten als „geringfügig“, weil die Betroffenen in über 90% der Fälle zu Geldstrafen von drei Monatssätzen oder weniger verurteilt wurden.
Wer eine Ersatzfreiheitsstrafe antritt, wurde nie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, sondern zu einer Geldstrafe.
Geldstrafen entstehen oft durch rassistisches und klassistisches Polizieren: Überdurchschnittlich hält die Polizei rassifizierte und als arm gelesene Menschen an und wirft ihnen geringfügige Delikte vor.
Auch vor dem Gesetz ist hier anschließend von Gleichheit keine Spur: Wer eine Geldstrafe bezahlen kann, bezahlt sie. Wer das nicht kann, muss in den Knast.
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FAQ
Bei der Ersatzfreiheitsstrafe handelt es sich um eine Gefängnisstrafe, die geleistet werden muss, wenn eine von einem Gericht verhängte Geldstrafe von den Betroffenen nicht bezahlt wird. Damit werden Mittellose automatisch schwerer bestraft als Wohlhabende: Die einen müssen in den Knast, was wiederum harte soziale Folgen wie Verlust von Wohnung und Arbeitsstelle nach sich ziehen kann, während andere lediglich die verhängten Tagessätze überweisen.
Von Ersatzfreiheitsstrafe sind überwiegend (zu ca. 80%) Menschen betroffen, die am oder unter dem Existenzminimum leben, da sie die Geldstrafen nicht zahlen können. Außerdem werden diese Personen durch ihre finanzielle Not überhaupt erst in die Lage gebracht, das Geld für bestimmte Leistungen nicht aufzubringen (bspw. für ein Ticket im öffentlichen Nahverkehr). Ersatzfreiheitsstrafen werden vorranging für wiederholtes Fahren ohne Fahrschein, für Ladendiebstähle oder für Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (Besitz und Verkauf von Drogen) verhängt. Ein geringer Anteil der Menschen, die Ersatzfreiheitsstrafen absitzen, sind aus politisch motivierten Straftaten im Knast.
Wieviele Menschen jährlich wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis landen, ist schwer zu ermitteln. Die Gefangenenstatistik wird jährlich an einem Stichtag erhoben und kommt hier für 2017 zu dem Ergebnis, dass ca. 11% der Gefangenen in Deutschland eine EFS absitzen. Der Anteil der EFS an den Gesamtgefängnisstrafen hat in den letzten 15 Jahren stetig zugenommen. Da EFS oft aber nur einige Wochen bis Monate dauern, werden viele Gefangene in der Stichtag-Statistik nicht berücksichtigt, so dass von einer viel höheren Gesamtzahl ausgegangen werden muss. Genaue Zahlen werden offenbar gar nicht mehr erhoben (vgl. Thurm 2016).
Ja, man ist vorbestraft – das gilt aber auch, wenn man die Geldstrafe zahlt; vom Haftantritt ist die Tatsache der Vorbestrafung unabhängig. Alle Strafen tauchen im „Bundeszentralregister Strafen“ auf und werden normalerweise bei weiteren Prozessen einbezogen. Allerdings taucht eine Vorstrafe nicht im polizeilichen Führungszeugnis auf, solange es der erste Eintrag ist und sie 90 Tagessätze nicht überschreitet.
Neben Law und Order Politiker*innen, für die aus Prinzip keine Strafe hart genug ist, vor allem auch Unternehmen mit Wirtschaftsinteressen, für die die EFS als Abschreckung dienen kann. Eigentlich handelt es sich in den meisten Fällen um zivilrechtliche Belange, um die sich der Staat nicht zwingend kümmern müsste. Verkehrsbetriebe argumentieren, dass wenn die Möglichkeit der EFS entfiele, es gegen mittellose Leistungserschleichende keine abschreckende Handhabung mehr gäbe. Allerdings wird die EFS aufgrund ihrer Ungerechtigkeit sowie der Überlastung des Justizapparats auch im bürgerlichen politischen Lager (etwa von CDU-Politiker_innen wie dem nordrheinwestfälischen Justizminister Peter Biesenbach) kritisch gesehen.
Bei der Ersatzfreiheitsstrafe handelt es sich um eine große Ungerechtigkeit. Die vom bürgerlichen Recht als nicht zu unterlaufender Standard formulierte „Gleichheit vor dem Gesetz“ wird so mit Füßen getreten: Die einen können zahlen, die anderen müssen in den Knast und werden so auch aus ihren sozialen Zusammenhängen gerissen. Armut wird so zusätzlich bestraft. Problematisch ist an der EFS auch der Automatismus: Ohne dass ein Gericht erneut darüber entscheiden müsste, verwandelt sich die verhängte Strafe von zu zahlenden Tagessätzen automatisch in eine anzutretende Haftstrafe. Auch könnten mit den für den Strafvollzug aufgewandten Geldern viel sinnvollere Maßnahmen finanziert werden; etwa die Vergabe von mehr Sozialtickets für den ÖPNV. Ein Tag im Gefängnis kostet den Staat zwischen 120 und 150 €. Für Fahren ohne Fahrschein („Leistungserschleichung“) werden als Strafe 20 bis 40 Tagessätze verhängt. Es entstehen damit Kosten von zwischen 2.400 und 6.000 € pro ESF, während sich der ursprüngliche finanzielle Schaden (Einnahmeausfall) für die Verkehrsbetriebe auf unter 10 Euro beläuft.
Zwar schreibt § 40 Abs. 2 StGB die Orientierung an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen und eine Mindesthöhe von 1,00 € vor. Richter*innen verhängen jedoch sehr oft höhere Sätze, obwohl ca. 80% der Betroffenen unter dem Existenzminimum leben. Als Richtwert für den Tagessatz orientiert man sich am täglichen Nettoeinkommen. Bei einem Empfänger von ALG 2 (Hartz4) werden Tagessätze von 10 – 20 Euro berechnet. Einer Person, die bereits am Existenzminimum lebt, werden dadurch wesentliche Grundbedürfnisse verwehrt und somit auch das Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben.
Es gibt im Prinzip oft die Möglichkeit, die geforderte Geldstrafe durch „freie Arbeit“ abzuleisten. Dies ist bekannt unter den Schlagworten „Arbeit statt Strafe“ oder „Schwitzen statt Sitzen“. Für manche Menschen ist diese Option tatsächlich eine gute Möglichkeit, da sie weniger drastisch in den Alltag eingreift als ein Gefängnisaufenthalt und subjektiv evtl. als sinnvoller empfunden wird. Für viele Menschen stellt die Beantragung und Durchführung derartiger Arbeit allerdings bereits eine organisatorische Barriere dar. (Viele Ersatzfreiheitsstrafer*innen sind von massiven psychischen und/oder Suchtproblemen betroffen.) Generell kritisieren wir diese Praxis, denn sie löst nicht das Problem, dass Armut bestraft wird. Auch durch den Zwang zu arbeiten werden Menschen dafür belangt, dass sie sich bestimmte Güter nicht leisten können, also zu arm sind, um legal am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. (Ein zusätzliches, legalistisches Argument gegen „Arbeit statt Strafe“ kritisiert, dass damit unter Hand eine Art des Strafens – Zwangsarbeit – eingeführt wird, obwohl juristisch nur zwei Strafarten – Geldstrafe und Freiheitsstrafe – vorgesehen sind.)
Statt bedürftige Menschen für ihre Armut oder ihre Suchtkrankheiten zu bestrafen, müssten die Verhältnisse verändert werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen oder kostenloser ÖPNV werden den menschlichen Grundbedürfnissen, die hinter den Delikten stehen, viel eher gerecht als eine zusätzliche Bestrafung. Die Haftstrafe als extremster Eingriff in die persönliche Freiheit darf auf keinen Fall einfach ein Automatismus sein. Auch unter der im Kapitalismus geltenden Prämisse, dass das Strafrecht die Eigentumsverhältnisse schützen soll, ist die EFS unfair und nicht zielführend. Generell müsste intensiver diskutiert werden, warum welche Handlungen strafbar seien sollen und ob es nicht in den allermeisten Fällen sinnvollere Umgangsweisen mit Devianz also abweichendem Verhalten gibt als deren Bestrafung.