Hier ist unsere Pressemitteilung vom 29.02.2024 zu den vom Berliner Senat beschlossenen Änderungen zum Programm „Arbeit statt Strafe.“
Startseite2024-02-29T17:31:36+01:00

Ersatzfreiheitsstrafe – Was ist das?

Die Ersatzfreiheitsstrafe ist mittlerweile die häufigste Form der Freiheitsstrafe in Deutschland. Es ist eine Haftstrafe für Menschen, die ihre vom Gericht auferlegte Geldstrafe nicht bezahlen.

Jedes Jahr werden so in Deutschland über 50.000 Menschen inhaftiert – und zwar in der Regel nicht, weil sie nicht zahlen wollen, sondern weil sie nicht zahlen können.

Viele dieser Menschen wurden wegen geringfügiger Straftaten verurteilt, die oft mit Armut zusammenhängen: beispielsweise dem Fahren ohne gültigen Fahrschein oder Lebensmittel-Diebstahl. Diese Fälle gelten als „geringfügig“, weil die Betroffenen in über 90% der Fälle zu Geldstrafen von drei Monatssätzen oder weniger verurteilt wurden.

Wer eine Ersatzfreiheitsstrafe antritt, wurde nie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, sondern zu einer Geldstrafe.

Geldstrafen entstehen oft durch rassistisches und klassistisches Polizieren: Überdurchschnittlich hält die Polizei rassifizierte und als arm gelesene Menschen an und wirft ihnen geringfügige Delikte vor.

Auch vor dem Gesetz ist hier anschließend von Gleichheit keine Spur: Wer eine Geldstrafe bezahlen kann, bezahlt sie. Wer das nicht kann, muss in den Knast.

Hilf uns, dieses ungerechte System zu bekämpfen!

Neuigkeiten

  • Justizminister Buschmann will Fahren ohne Fahrschein zur Ordnungswidrigkeit herabstufen. Das reicht nicht! Hier ist unsere Presssemitteilung vom 17. November 2023

  • Ende Juni (2023) hat der Bundestag eine Halbierung der Hafttage bei Ersatzfreiheitsstrafen beschlossen. Wegen IT-Problemen (!!!) wird diese Reform nun aber erst vier Monate später umgesetzt. Ein Skandal den wir hier kommentieren (pdf). Der Freiheitsfonds hat zudem eine Petition gestartet, die ihr hier unterzeichnen könnt.

  • In einem Interview mit der Funke Mediengruppe behauptete Bundesjustizminister Marco Buschmann kürzlich, Schweden habe „die Ersatzfreiheitsstrafe so gut wie abgeschafft, und dann gemerkt, dass die Zahlung von Geldstrafen heftig ins Stocken geraten ist. Das Land hat das Experiment wieder rückgängig gemacht.“

    Das stimmt nicht, denn Schweden greift auch nach einer Gesetzesänderung im vergangenen Jahr weiterhin sehr selten auf das Mittel der Ersatzfreiheitsstrafe zurück. Das ist eine Bestätigung und keine Rückgängigmachung eines Kurses, der seit Jahrzehnten so funktioniert, also auch kein „Experiment“ darstellt.

    Unsere ausführliche Antwort an Herrn Buschmann könnt Ihr hier nachlesen und hier unseren Brief an die Funke Mediengruppe mit Bitte um Richtigstellung.

  • Bundesjustizminister Marco Buschmann lässt derzeit die Herabstufung für das Fahren ohne Fahrschein vom Straftatbestand zur Ordnungswidrigkeit prüfen, wie zum Beispiel Der Spiegel hier berichtet.

    Doch diese Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit ist keine Lösung, sondern droht die sozialen Probleme sogar noch zu verschärfen. Bei einer Ordnungswidrigkeit wird nämlich auf das individuelle Einkommen keinerlei Rücksicht genommen. Somit sind Menschen mit geringfügigem Einkommen wieder deutlich in diesem System benachteiligt.

    Wer dieses Bußgeld nicht zahlen kann, landet auch hier im Gefängnis. Das nennt sich Zivilhaft und ist das juristische Beugemittel in Fällen, in denen Bußgelder aus Ordnungswidrigkeiten nicht gezahlt werden. Diese Zivilhaft hat gegen die Ersatzfreiheitsstrafe sogar noch einen Nachteil: die Schuld ist mit dem Ende der Haft nicht abgegolten. Sie besteht weiter.

    Außerdem löst eine Umwandlung nicht das Problem des Polizierens, wodurch Strafen überhaupt erst entstehen. Vor allem rassifizierte Gruppen würden auch unter dem Vorwand einer Ordnungswidrigkeit weiterhin verstärkt kontrolliert und somit eher bestraft werden.

    Eine Umwandlung zur Ordnungswidrigkeit ist also nichts weiter als politische Augenwischerei. Klingt vielversprechend, ist im Grunde aber nur ein neuer Name für fortdauernde Ungerechtigkeit.

  • Nachdem der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen (EFS) in Berlin wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt war wurde er am 1. Juni diesen Jahres wieder aufgenommen. Dagegen haben wir am 31. Mai mit einem großen Bündnis vor der JVA Plötzensee protestiert, in der mehrheitlich EFS abgesessen werden. Hier ist unser Pressedossier zum Nachlesen und ein Artikel der taz.

  • Am 21.12.2022 hat die Bundesregierung eine viel diskutierte Neuregelung für die Ersatzfreiheitsstrafe beschlossen. Der Kern des Beschlusses ist eine Halbierung der Haftzeit, die pro Tagessatz bei einer verhängten Geldstrafe berechnet wird. Im Klartext bedeutet das immer noch, dass Menschen allein dafür ins Gefängnis gesperrt werden, dass sie eine Geldstrafe nicht zahlen können. Für Betroffene stellt jegliche Form des Haftantritts eine enorme Belastung dar. Durch eine Halbierung wird keine Person davor bewahrt, für eine nicht bezahlte Geldstrafe ins Gefängnis zu müssen.

    Wie wir bereits in unserer Stellungnahme zum ursprünglichen Referentenentwurf kritisierten (der mit kleinen Anpassungen jetzt vom Kabinett abgesegnet wurde), geht die Neuregelung am eigentlichen Problem vorbei. Denn die Ersatzfreiheitsstrafe greift überwiegend bei Armutsdelikten: Ein Viertel dieser Strafen resultiert alleine durch das Fahren ohne Fahrschein. In jedem Fall ist das System Ersatzfreiheitsstrafe eine Form von Klassenjustiz: Wer eine Geldstrafe bezahlen kann, zahlt (spätestens durch die zwangsweise Beitreibung, etwa durch eine*n Gerichtsvollzieher*in). Wer nicht zahlen kann, muss ins Gefängnis.

    Besonders enttäuschend an dem Beschluss ist: Bundesjustizminister Marco Buschmann erkennt den dringenden Handlungsbedarf, ist aber nicht dazu bereit, an der Wurzel des Problems anzusetzen und die Kriminalisierung von Armut zu beenden. Die Diskussionen, die zuletzt von der Bundesregierung zum Thema geführt wurden, zeigen, dass beispielsweise Bundesinnenministerin Nancy Faeser und die SPD kein Verständnis davon haben, dass die EFS Zahlungsunfähige bestraft (nicht etwa Zahlungsunwillige).

    In dem jetzt beschlossen Gesetz stecken Evaluierungsklauseln, die nach drei Jahren greifen, was bedeutet: Die Bundesregierung wälzt für die aktuelle Legislaturperiode alle Verantwortung von sich. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Zehntausenden Menschen, die jährlich dafür inhaftiert werden, dass sie eine Geldstrafe nicht bezahlen können. Als Bündnis fordern wir weiterhin: Ersatzfreiheitsstrafe abschaffen!

  • ZDF Magazin Royale vom 3.12.2021: Fahren ohne Fahrschein – Unnötigste Straftat seit 1935

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  • Hier ein guter Beitrag von Deutschlandfunk Kultur vom 29.01.2022 zu den Ungerechtigkeiten des deutschen Strafsystems und übergriffiger Polizei, die sich vor keiner Strafverfolgung fürchten muss: „Unrecht im Rechtsstaat. Je teurer der Anwalt, umso geringer die Strafe„.

FAQ

Was ist die Ersatzfreiheitsstrafe?2022-07-08T18:35:27+02:00

Bei der Ersatzfreiheitsstrafe handelt es sich um eine Gefängnisstrafe, die geleistet werden muss, wenn eine von einem Gericht verhängte Geldstrafe von den Betroffenen nicht bezahlt wird. Damit werden Mittellose automatisch schwerer bestraft als Wohlhabende: Die einen müssen in den Knast, was wiederum harte soziale Folgen wie Verlust von Wohnung und Arbeitsstelle nach sich ziehen kann, während andere lediglich die verhängten Tagessätze überweisen.

Wer ist davon betroffen?2022-07-08T18:36:01+02:00

Von Ersatzfreiheitsstrafe sind überwiegend (zu ca. 80%) Menschen betroffen, die am oder unter dem Existenzminimum leben, da sie die Geldstrafen nicht zahlen können. Außerdem werden diese Personen durch ihre finanzielle Not überhaupt erst in die Lage gebracht, das Geld für bestimmte Leistungen nicht aufzubringen (bspw. für ein Ticket im öffentlichen Nahverkehr). Ersatzfreiheitsstrafen werden vorranging für wiederholtes Fahren ohne Fahrschein, für Ladendiebstähle oder für Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (Besitz und Verkauf von Drogen) verhängt. Ein geringer Anteil der Menschen, die Ersatzfreiheitsstrafen absitzen, sind aus politisch motivierten Straftaten im Knast.

Wieviele Personen sind davon in Deutschland betroffen?2022-07-08T18:36:24+02:00

Wieviele Menschen jährlich wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis landen, ist schwer zu ermitteln. Die Gefangenenstatistik wird jährlich an einem Stichtag erhoben und kommt hier für 2017 zu dem Ergebnis, dass ca. 11% der Gefangenen in Deutschland eine EFS absitzen. Der Anteil der EFS an den Gesamtgefängnisstrafen hat in den letzten 15 Jahren stetig zugenommen. Da EFS oft aber nur einige Wochen bis Monate dauern, werden viele Gefangene in der Stichtag-Statistik nicht berücksichtigt, so dass von einer viel höheren Gesamtzahl ausgegangen werden muss. Genaue Zahlen werden offenbar gar nicht mehr erhoben (vgl. Thurm 2016).

Ist man bei einer EFS automatisch „vorbestraft“?2022-07-08T18:36:46+02:00

Ja, man ist vorbestraft – das gilt aber auch, wenn man die Geldstrafe zahlt; vom Haftantritt ist die Tatsache der Vorbestrafung unabhängig. Alle Strafen tauchen im „Bundeszentralregister Strafen“ auf und werden normalerweise bei weiteren Prozessen einbezogen. Allerdings taucht eine Vorstrafe nicht im polizeilichen Führungszeugnis auf, solange es der erste Eintrag ist und sie 90 Tagessätze nicht überschreitet.

Wer hat ein Interesse am Fortbestand der Ersatzfreiheitsstrafen?2022-07-25T11:33:32+02:00

Neben Law und Order Politiker*innen, für die aus Prinzip keine Strafe hart genug ist, vor allem auch Unternehmen mit Wirtschaftsinteressen, für die die EFS als Abschreckung dienen kann. Eigentlich handelt es sich in den meisten Fällen um zivilrechtliche Belange, um die sich der Staat nicht zwingend kümmern müsste. Verkehrsbetriebe argumentieren, dass wenn die Möglichkeit der EFS entfiele, es gegen mittellose Leistungserschleichende keine abschreckende Handhabung mehr gäbe. Allerdings wird die EFS aufgrund ihrer Ungerechtigkeit sowie der Überlastung des Justizapparats auch im bürgerlichen politischen Lager (etwa von CDU-Politiker_innen wie dem nordrheinwestfälischen Justizminister Peter Biesenbach) kritisch gesehen.

Warum sollte die EFS abgeschafft werden?2022-07-08T18:37:53+02:00

Bei der Ersatzfreiheitsstrafe handelt es sich um eine große Ungerechtigkeit. Die vom bürgerlichen Recht als nicht zu unterlaufender Standard formulierte „Gleichheit vor dem Gesetz“ wird so mit Füßen getreten: Die einen können zahlen, die anderen müssen in den Knast und werden so auch aus ihren sozialen Zusammenhängen gerissen. Armut wird so zusätzlich bestraft. Problematisch ist an der EFS auch der Automatismus: Ohne dass ein Gericht erneut darüber entscheiden müsste, verwandelt sich die verhängte Strafe von zu zahlenden Tagessätzen automatisch in eine anzutretende Haftstrafe. Auch könnten mit den für den Strafvollzug aufgewandten Geldern viel sinnvollere Maßnahmen finanziert werden; etwa die Vergabe von mehr Sozialtickets für den ÖPNV. Ein Tag im Gefängnis kostet den Staat zwischen 120 und 150 €. Für Fahren ohne Fahrschein („Leistungserschleichung“) werden als Strafe 20 bis 40 Tagessätze verhängt. Es entstehen damit Kosten von zwischen 2.400 und 6.000 € pro ESF, während sich der ursprüngliche finanzielle Schaden (Einnahmeausfall) für die Verkehrsbetriebe auf unter 10 Euro beläuft.

Warum können die Betroffenen die verhängten Geldstrafen nicht bezahlen? Soll das System der „Tagessätze“ nicht soziale Härten vermeiden? Sind Tagessätze nicht an das Einkommen angepasst?2022-07-08T18:38:36+02:00

Zwar schreibt § 40 Abs. 2 StGB die Orientierung an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen und eine Mindesthöhe von 1,00 € vor. Richter*innen verhängen jedoch sehr oft höhere Sätze, obwohl ca. 80% der Betroffenen unter dem Existenzminimum leben. Als Richtwert für den Tagessatz orientiert man sich am täglichen Nettoeinkommen. Bei einem Empfänger von ALG 2 (Hartz4) werden Tagessätze von 10 – 20 Euro berechnet. Einer Person, die bereits am Existenzminimum lebt, werden dadurch wesentliche Grundbedürfnisse verwehrt und somit auch das Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben.

Kann man die Strafe nicht auch abarbeiten?2022-07-08T18:38:57+02:00

Es gibt im Prinzip oft die Möglichkeit, die geforderte Geldstrafe durch „freie Arbeit“ abzuleisten. Dies ist bekannt unter den Schlagworten „Arbeit statt Strafe“ oder „Schwitzen statt Sitzen“. Für manche Menschen ist diese Option tatsächlich eine gute Möglichkeit, da sie weniger drastisch in den Alltag eingreift als ein Gefängnisaufenthalt und subjektiv evtl. als sinnvoller empfunden wird. Für viele Menschen stellt die Beantragung und Durchführung derartiger Arbeit allerdings bereits eine organisatorische Barriere dar. (Viele Ersatzfreiheitsstrafer*innen sind von massiven psychischen und/oder Suchtproblemen betroffen.) Generell kritisieren wir diese Praxis, denn sie löst nicht das Problem, dass Armut bestraft wird. Auch durch den Zwang zu arbeiten werden Menschen dafür belangt, dass sie sich bestimmte Güter nicht leisten können, also zu arm sind, um legal am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. (Ein zusätzliches, legalistisches Argument gegen „Arbeit statt Strafe“ kritisiert, dass damit unter Hand eine Art des Strafens – Zwangsarbeit – eingeführt wird, obwohl juristisch nur zwei Strafarten – Geldstrafe und Freiheitsstrafe – vorgesehen sind.)

Was könnte sinnvoll die EFS ersetzen?2022-07-25T11:32:31+02:00

Statt bedürftige Menschen für ihre Armut oder ihre Suchtkrankheiten zu bestrafen, müssten die Verhältnisse verändert werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen oder kostenloser ÖPNV werden den menschlichen Grundbedürfnissen, die hinter den Delikten stehen, viel eher gerecht als eine zusätzliche Bestrafung. Die Haftstrafe als extremster Eingriff in die persönliche Freiheit darf auf keinen Fall einfach ein Automatismus sein. Auch unter der im Kapitalismus geltenden Prämisse, dass das Strafrecht die Eigentumsverhältnisse schützen soll, ist die EFS unfair und nicht zielführend. Generell müsste intensiver diskutiert werden, warum welche Handlungen strafbar seien sollen und ob es nicht in den allermeisten Fällen sinnvollere Umgangsweisen mit Devianz also abweichendem Verhalten gibt als deren Bestrafung.

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